Haydn, Bartók, Beethoven

Neulich im Gespräch mit D. über Tagebücher geredet. Ich erzählte ihr von meinem Konzerttagebuch, das ich vor ein paar Monaten begonnen hatte, und in welches ich möglichst schnell nach jedem Konzert, das ich besuche, meine Eindrücke hineinschreibe, wenn es irgendwie geht am selben Abend noch, solange alles noch frisch und roh im Kopf herum schwirrt. D. meinte dann, das sei doch perfekter Blogcontent, daran hatte ich noch überhaupt nicht gedacht, so weit habe ich mich vom Bloggen schon entfremdet. Aber sie hat ja nicht unrecht, also probiere ich es doch einmal, hier, leicht gekürzt, mein Text von gestern Nacht:

17.03.2023

Bibliothekssaal Polling

Barbican Quartet

Joseph Haydn: Streichquartett Nr. 2 C-Dur op. 20 Hob. III/32
Béla Bartók: Streichquartett Nr. 4
Ludwig van Beethoven: Streichquartett Nr. 8 e-moll op. 59/2

Nachdem ich jetzt ziemlich oft in der Isarphilharmonie in großen Sinfoniekonzerten gewesen war, heute endlich mal eine Kammermusik auf höchstem Niveau, Streichquartette, es gibt ja nichts schöneres eigentlich, meine Vorfreude war die allergrößte. Zum ersten Mal im Bibliothekssaal in Polling, ich fuhr frühzeitig los, über Böbing und Peißenberg, wie Google Maps es mir empfohlen hatte, ungewohnte Strecke, ich fand aber alles sofort ohne Probleme. Als ich in Polling aus dem Auto stieg, zur blauen Stunde, war ich augenblicklich wie verzaubert, so ein ländlicher Friede, ein wundervoll nach Kuhmist duftendes Idyll rund um die alte Klosteranlage, „Liberalitas Bavarica“ steht über dem Eingang zur Kirche in goldenen Lettern, ich fühlte mich sofort wie daheim.

Ich betrat nun das dem Kloster vorgelagerte Bibliotheksgebäude, zum ersten Mal hatte ich keine Eintrittskarte aus Papier, das machte mich ganz nervös, ich kann mich nicht mehr erinnern, warum, aber ich hatte beim Erwerb des Tickets die Option eines digitalen Handytickets gewählt, jetzt war ich aber der einzige, der beim Einlass sein Handy zückte, alle anderen hatten, soviel ich sehen konnte, normale Papiertickets in der Hand. Man ließ mich trotzdem hinein. Beim Eintritt in den wunderschön barocken Saal stand ich unversehens direkt vor einem Gemälde, welches einen gewissen „Erhardus Eyrl Amergaviensis“ zeigte, offenbar war ich nicht der erste Ammergauer, der diese ehrwürdige Halle betrat, das erfreute mich irgendwie.

Mit Haydn habe ich teilweise so meine Probleme, das plätschert manchmal so harmlos und gefällig vor sich hin, so ging es mir ja kürzlich beim großen John Eliot Gardiner, der in der Isarphilharmonie sein Konzert mit einer Haydnsymphonie eröffnet hatte, die mir letztendlich irgendwie fad und nichtssagend geblieben war. Nicht so heute, das Barbican Quartet war von der ersten Sekunde an voll da, auch der Haydn machte den vier Musikern sichtlich Spaß, das spritzte und funkelte, nichts war hier beliebig oder routiniert heruntermusiziert, ich war sofort begeistert.

Vom Bartók hatte ich mir nun am wenigsten erwartet, eigentlich gar nichts, um genau zu sein, das Wenige, das ich von Bartók bisher gehört habe in meinem Leben, hat mir überhaupt nicht gefallen, so ein schräges, dissonantes Gekreisch irgendwie, eine Musik, mit der ich einfach nichts anfangen kann. Dieses Urteil muss seit heute dringend einer Revision unterzogen werden, das Streichquartett hatte mich nach wenigen Takten völlig in seinem Bann, das war teilweise richtig jazzig, wie das so rhythmisch und hochenergetisch nach vorne raste, im zweiten Satz dann ganz geisterhaft flirrend leise und halb irr schwirrte, der dritte Satz wie ein ganz ernstes Selbstgespräch, ein instrumentales Rezitativ, dachte ich, wie es sich auch bei Beethoven manchmal findet, im langsamen Satz des vierten Klavierkonzerts zum Beispiel. Alles an diesem Streichquartett schien mir beim ersten Hören sofort stimmig, durchdacht, einer zutiefst musikalischen Logik folgend, als es zum Schluss wieder so synkopisch rasant zum Ende hin stampfte, war ich Bartók-Fan.

Beethovens op. 59/2 war das einzige Werk des heutigen Abends, das ich vorher schon kannte, hier hatte ich also einen Vergleich zu meinen zwei Lieblingsstreichquartetten, von denen ich jeweils die kompletten Beethoven-Quartette auf CD besitze: das Emerson String Quartet und das Quatuor Ébène. Das Barbican Quartet muss diese Vergleiche keinesfalls scheuen. Manchmal, wenn so eine gewisse Phrase von oben nach unten durch die vier Stimmen hinuntergereicht wird, das war ganz übergangslos, wie aus einem Guss, von unsichtbarer Hand verschmolzen. Das wehmütig singende Adagio ganz zart, mir war, als hätte ich das so schön noch nie vorher gehört. Ich hatte während des Konzerts plötzlich den seltsamen Gedanken, hier kündige sich bereits das mysteriöse Spätwerk Beethovens an, dabei ist das ja, wie ich mich jetzt nochmal vergewissere, ein absolutes Produkt der mittleren Periode, steht opusmäßig zwischen dritter und vierter Symphonie, und doch schien mir vieles an dem Quartett heute so fragmentiert, vergrübelt und zerbrechlich, wie sonst nur die ganz späten, rätselhaften Werke Beethovens.

Das Publikum erschreckend alt, nur ein paar ganz vereinzelte junge Menschen, welche durchweg englisch sprachen, also womöglich mitreisende Groupies des ebenfalls sehr jugendlichen Quartetts, der Rest mehrheitlich weißhaarige Ehepaare mit Lodenjoppe und Hörgerät. Trotz des hohen Durchschnittsalters aber lautstarker Jubel am Schluss, begeisterte Bravo-Rufe, überhaupt eine angenehm unsteife Atmosphäre.

Abschließend gebe ich noch zu Protokoll, dass ich heute nicht nur zum ersten Mal selbst mit digitaler Eintrittskarte unterwegs war, sondern auch zum ersten Mal Zeuge davon wurde, dass die Musiker nicht aus papiernen Noten, sondern von iPads spielten. Vor jedem der vier lag eine kleine Apparatur auf dem Boden, die aussah wie ein kleines Wahwah-Pedal, womit sie offensichtlich umblätterten. Leuchtet unmittelbar ein, eine ganz klare Verbesserung, ich erinnere mich noch sehr lebhaft an den enervierenden Kampf mit störrischen Papierseiten. Eigentlich interessant, dass diese Technologie sich bei den großen Symphonieorchestern offenbar noch nicht durchgesetzt hat, die müssen noch immer per Hand blättern, soviel ich zuletzt sehen konnte.

Durch die finstere Nacht den teils ziemlich kurvigen Weg von Polling heimzufahren, ist etwas anstrengender, als von München einfach nur die schnurgerade Autobahn runterzubrettern, dafür ist der Weg kürzer, 22:30 Uhr war ich daheim.

Werbung

4 Gedanken zu “Haydn, Bartók, Beethoven

  1. Schließe mich D. an: das sind ausgesprochen blogtaugliche Notizen, danke dafür.
    Sollte es dich mal wieder nach Polling verschlagen: kennst du die Säulenhalle STOA169 am Ortsrand? Sehr empfehlenswert, gerade zur blauen Stunde!

Kommentar verfassen

Trage deine Daten unten ein oder klicke ein Icon um dich einzuloggen:

WordPress.com-Logo

Du kommentierst mit deinem WordPress.com-Konto. Abmelden /  Ändern )

Facebook-Foto

Du kommentierst mit deinem Facebook-Konto. Abmelden /  Ändern )

Verbinde mit %s